Herr Prof. Jürgen Windeler, Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) in Köln, hat sich in einem Interview im  Heft 3-4/2014 von „MDK forum“ zum Thema „Ist das Mammographie-Screening (noch) sinnvoll?“ positiv zu dem Programm geäußert.

Der Gemeinsame Bundesausschusses (G-BA) hatte nach einer entsprechenden Stellungnahme der Bundesregierung vom 07.08.2014 das IQWiG mit der Erstellung eines Gutachtens zu Risiken und Nutzen des Mammographie-Screening-Programms beauftragt.

Nachfolgend der Wortlaut des Interviews :

Prof. Windeler: Ist das Mammographie-Screening (noch) sinnvoll?

Jede Frau zwischen 50 und 69 in Deutschland erhält alle zwei Jahre eine Einladung zur Mammographie. Etwa jede zweite geht hin, das sind pro Jahr rund 2,7 Millionen Frauen. Damit ist die Mammographie eines der aufwendigsten Screening-Programme. Doch es mehren sich die Zweifel, ob sich dieser Aufwand lohnt. Wir sprachen mit Prof. Dr. Jürgen Windeler, Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (iqwig)

Was macht das Mammographie-Screening in Deutschland aus?

Das Mammographie-Screening ist das einzige Erwachsenenscreening, das in einem Einladungsmodell organisiert ist. So etwas gibt es für keine andere Früherkennung im Erwachsenenalter. Ansonsten aber befasst sich die Diskussion, die wir derzeit über die Mammographie führen, mit den gleichen Themen und Problemen wie die Diskussionen, die man bei anderen Früherkennungsprogrammen geführt hat – oder führen müsste – und auch künftig führen wird.

In dieser Diskussion wird immer wieder darauf hingewiesen, dass die Wirkung von Screening-Programmen erst nach frühestens zehn Jahren sichtbar wird. Das Mammographie-Screening wurde im Jahr 2009 flächendeckend in Deutschland eingeführt – lassen sich heute überhaupt schon Aussagen zum Erfolg machen?

Wenn man 2009 nicht bereits aussagefähige Daten gehabt hätte, hätte man das Screening gar nicht einführen dürfen – und ich glaube auch nicht, dass wir in zehn Jahren entscheidend mehr wissen werden. Für das Mammographie-Screening liegen uns mehr und qualitativ bessere Daten vor als für jede andere Krebsfrüherkennungsuntersuchung. Sie stammen aus aussagefähigen vergleichenden Studien, die Mitte der 1980er-, spätestens Beginn der 1990er-Jahre abgeschlossen wurden. Auf dieser Grundlage ist das Mammographie-Screening eingeführt worden und darauf basiert heute auch die gesamte Diskussion. Wesentliche neuere Daten gibt es nicht. Die Anfang dieses Jahres publizierten 20-Jahres-Daten aus einer kanadischen Studie haben die bisher bekannten Ergebnisse bestätigt. Was es nicht gibt, sind Mortalitätsdaten aus dem deutschen Mammographie-Screening-Programm. Hier muss man allerdings ehrlich sagen: Die wird es in aussagekräftiger Form auch nicht geben. Darauf sollten wir also mit Entscheidungen über eine Verbesserung des Programms nicht warten.

Wenn diese Daten nun schon vorliegen, wo liegt dann Ihrer Meinung nach das Problem?

Das Problem – und das gilt übrigens für alle Früherkennungsuntersuchungen – liegt darin, dass die Krankheit, nach der man sucht, verhältnismäßig selten ist. Die Ereignisse, die man gerne vermeiden möchte, nämlich den Tod durch diese Krankheit, sind noch seltener. Wer also einen positiven Effekt einer Maßnahme auf diese seltenen Ereignisse untersuchen möchte, braucht erstens sehr große Populationen. Und zweitens ist die Unsicherheit in den Ergebnissen dann immer noch so groß, dass man selbst mit guten Daten argumentieren kann »Da tut sich ja so gut wie gar nichts« und mit fast den gleichen Daten aber auch sagen kann »Na ja, es tut sich ja ein bisschen etwas, was ein solches Screening rechtfertigt«. Das ist momentan das zentrale Problem.

Bedeutet das, die Schlussfolgerungen aus den vorliegenden Studien sind reine Auslegungssache?

Die Kritiker der Mammographie-Untersuchung, z. B. die Cochrane-Forscher um Peter Goetzsche aus Dänemark, stellen sehr hohe Anforderungen an die Studien und lassen nur sehr wenige gelten. Daraus leiten die Autoren dann ab: Das Mammographie-Screening lohnt sich nicht. Andere Autoren kommen unter Einschluss der übrigen Studien zu dem Ergebnis, dass es vielleicht doch ein bisschen etwas bringt. Noch andere Autoren nehmen nicht nur vergleichende Studien, sondern auch ganz andere Daten hinzu, die qualitativ möglicherweise schlechter sind, und kommen zu dem Ergebnis, dass das Screening sehr wohl etwas bringt. Quantitativ liegen aber alle diese Ergebnisse dicht beieinander.

Nun sagen die Kritiker, dass Frauen, die am Mammographie-Screening teilnehmen, zwar seltener an Brustkrebs sterben, aber im Schnitt auch nicht länger leben als Frauen, die nicht teilnehmen. Einige von ihnen würden völlig unnötigerweise eine Brustkrebs-Diagnose erhalten, operiert oder bestrahlt werden bzw. eine Chemotherapie bekommen. Diese Strahlenbelastung könne sogar das Herzinfarktund Lungenkrebsrisiko erhöhen. Schadet das Mammographie-Screening demzufolge mehr, als es nutzt?

An dieser Darstellung sind zwei Dinge zunächst richtig: Wenn man auf die Brustkrebs-Mortalität schaut, die Sterblichkeit am Brustkrebs, dann gibt es dort vermutlich einen kleinen Effekt. Richtig ist außerdem, dass es keinen auffälligen Effekt auf die Gesamtsterblichkeit gibt: Frauen leben dank der Mammographie nicht länger – im Mittel wohlgemerkt. Aber es ist unklar, ob sich der Effekt in der Brustkrebs-Mortalität deshalb nicht in der Gesamtsterblichkeit zeigt, weil es die beschriebenen Nebenwirkungen gibt, die sozusagen gegenläufig sind. Oder aber, und das ist eine genauso plausible Hypothese, weil der Effekt auf die Gesamtmortalität viel zu klein ist, als dass ihn sorgfältige Studien überhaupt zeigen könnten. Man weiß es einfach nicht. Um solche Aussagen belegen zu können, brauchen Sie riesige und in dieser Größe auch noch sehr aussagekräftige Studien. Die gibt es einfach nicht. Das gilt übrigens für andere Screening-Formen auch.

Also nutzt das Mammographie-Screening doch etwas?

Die Frage ist, was man als Nutzen akzeptiert. Derzeit gehen wir davon aus, dass es eine gewisse Senkung der Brustkrebs-Sterblichkeit gibt. Zweitens können wir davon ausgehen, dass es keine Änderung in der Gesamtsterblichkeit gibt. Drittens gibt es Nebenwirkungen im Sinne von Überdiagnosen, das ist bekannt. Ein Teil der im Mammographie-Screening entdeckten Brustkrebsfälle wären also besser unentdeckt geblieben: Sie müssen therapiert werden, wären aber der Frau sonst nie aufgefallen. Das sind die Nachteile, und sie sind gravierend und auch quantitativ nicht zu vernachlässigen. Und jetzt ist es eine Frage der Bewertung, ob man aus all diesen Punkten insgesamt einen Nutzen ableitet oder nicht. Jemand, der sagt: »Screening bringt nur dann etwas, wenn die Frauen länger leben«, der muss sagen: »Das passiert hier nicht«. Eine Frau, die sagt, es reicht mir schon, wenn ich meine Sterblichkeit an Brustkrebs reduzieren kann, würde dem Screening einen Nutzen zuerkennen. Bei aller Skepsis: Derzeit bin ich nicht dafür, die Mammographie als Einladungsmodell abzuschaffen, wie es einige fordern. Und zwar nicht, weil der Effekt der Mammographie so überzeugend ist. Doch würde man das Mammographie-Screening in der organisierten Form abschaffen, dann würde es wie früher ohne eine adäquate Qualitätssicherung weiterlaufen. Schließlich kann niemand die Mammographie an sich verbieten. Insofern würde eine Abschaffung des Programms die Situation für die Frauen eher schlechter machen als besser. Außerdem haben wir durch das Programm die Möglichkeit, alle Frauen zu erreichen und mit vernünftigen Informationen zu versorgen. Der zweite Punkt ist: So ein etabliertes Früherkennungsprogramm ist ein extrem träger Tanker. Dort auf die Bremse zu treten oder die Richtung zu ändern, braucht eine Vorlaufzeit von einigen Jahren. Und wir müssen auch aufpassen, dass die Kritik am Mammographie-Programm nicht dazu missbraucht wird, den Frauen eine graue Mammographie oder eine andere Methode wie zum Beispiel Ultraschall oder MRT als angeblich bessere Alternative anzubieten. Hier sieht die Bilanz noch schlechter aus.

Wäre denn eine solche Richtungsänderung angesichts der neuen Therapiemöglichkeiten angezeigt?

Wer heute an Brustkrebs erkrankt, hat eine viel bessere Perspektive als vor zwanzig Jahren. Wir wissen mehr über den Krebs und haben neue Medikamente gegen Brustkrebs, die die Therapie verbessern. Von daher kann es sein, dass die positiven Effekte des Mammographie-Screenings auf die Brustkrebs-Sterblichkeit heute noch kleiner sind, als sie es vor zehn oder fünfzehn Jahren waren. Eine Risikoadaptation wäre sicherlich eine mögliche Perspektive – das gilt für jedes Screening. Statt nach dem »Gießkannenprinzip« könnte man die Untersuchung ausschließlich denjenigen zukommen lassen, die davon am meisten profitieren, und den anderen, die nur ein sehr kleines Risiko einer Erkrankung haben, die Nachteile des Screenings ersparen. Darin wird sicherlich die Zukunft liegen. Aber wir haben im Moment noch keine aussagekräftigen Marker für diese Risikoadaptierung. Beim Gebärmutterhalskrebs und Prostatakrebs fängt man jetzt an, über ein ergebnisabhängiges Screeningprogramm zu sprechen, also Teilnehmer, die nach einem ersten Test positiv sind, in engeren Abständen wieder einzuladen als diejenigen, die im ersten Test negativ sind. Aber auch ein solches Vorgehen steckt derzeit noch in den Kinderschuhen.

Die Fragen stellte

Dr. Martina Koesterke

 

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