Weltgesundheitsorganisation WHO: Nutzen des Mammographie-Screenings überwiegt

Das unabhängige Expertengremium, welches vom International Agency for Research on Cancer (IARC) der WHO einberufen wurde, kommt zu dem Schluss, dass der Nutzen des Mammographie-Screenings für Frauen zwischen 50 und 69 Jahren klar den potenziellen Schaden überwiege. Zu diesem Fazit gelangen die 29 unabhängigen Experten aus 16 Ländern nach umfassender Analyse der aktuellen Datenlage. Die zusammengefassten Ergebnisse veröffentlichte das New England Journal of Medicine am 3. Juni 2015.

 

Den Beitrag im NEJM der IARC Working Group finden Sie unter:

http://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMsr1504363

„Kanada-Studie“ ̶ bislang als Beweis gegen Mammographiescreening angeführt ̶ zeigt erhebliche methodische Mängel

Als einzige von 8 randomisierten kontrollierten Screeningstudien zeigte die 1980-1985 durchgeführte „Kanada-Studie“ keine Reduktion der Brustkrebssterblichkeit. Dieses Ergebnis wurde nach 25 Jahren Nachbeobachtung erneut veröffentlicht. Die Aussagekraft der „Kanada-Studie“ sei jedoch stark in Zweifel zu ziehen, denn sie weise erhebliche methodische Mängel auf. Schlechte Mammographie-Qualität, unsaubere Studiendurchführung sowie fehlende ärztliche Qualitätssicherung: So lautet das Fazit der aktuellen systematischen Analyse der Original-Literatur zur Canadian National Breast Cancer Screening Study (CNBSS) von Heywang-Köbrunner und Katalinic.

 

Die Studie von Heywang-Köbrunner, Katalinic et al. finden Sie unter:

http://link.springer.com/article/10.1007/s00330-015-3849-2

Fachgesellschaften üben Kritik am IQiG-Entwurf des neuen Einladungsschreibens und Merkblatts

In Ihren Stellungnahmen gegenüber dem Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) üben die

  • Deutsche Gesellschaft für Senologie (DGS),
  • die Deutsche Röntgengesellschaft (DRG). und die
  • Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG).

scharfe Kritik am Beschlussentwurf des G-BA über eine Änderung der Krebsfrüherkennungs-Richtlinie; hier: Entwurf des Merkblatts für Mammographiescreening vom 20.04.2015.

Der G-BA hatte das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQIG) mit dem Entwurf eines neuen Einladungsschreibens und Merkblatts beauftragt.

Die einzelnen Stellungnahmen hierzu finden Sie unter folgenden Links:

DGS:

http://www.senologie.org/fileadmin/media/documents/Stellungnahmen/Stellungnahme_Merkblatt_und_Einladungsschreiben_Mammographiescreening_DGS.pdf

DGGG:

http://www.google.de/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=13&ved=0CCcQFjACOAo&url=http%3A%2F%2Fwww.dggg.de%2Fleitlinienstellungnahmen%2Faktuelle-stellungnahmen%2F%3FeID%3Ddam_frontend_push%26docID%3D2917&ei=oCloVfrLIOf9ywPh3oHwDw&usg=AFQjCNHLu4n21QRdLbBJtZ2iaH4G2-iiYw&bvm=bv.93990622,d.bGQ

DRG:

http://www.ag-mamma.drg.de/media/document/7892/Stellungnahme-der-DRG-fuer-GBA-zum-Mammographie-Screening-Infoblatt.pdf

Prof. Sylvia H. Heywang-Köbrunner: „Ist eine Neubewertung des Mammografie-Screenings notwendig?“

„Seit mehr als 20 Jahren gibt es Befürworter und Gegner von Früherkennung. Zwischen ihnen besteht ein Glaubenskrieg, der unglücklicherweise gerade von Früherkennungsgegnern in zunehmendem Ausmaß an die Öffentlichkeit getragen wurde. Zu den unerfreulichsten Entwicklungen gehört, dass Screening-Kritiker den Befürwortern, die sie „Screener nennen, einseitig Interessenskonflikte vorwerfen. Hierzu ist

Folgendes richtigzustellen:“ Dies sagt die Leiterin des Referenzzentrums München und Programmverantwortliche Ärztin, Frau Prof. Sylvia H. Heywang-Köbrunner, und eröffnet damit ihrem Beitrag „ Ist eine Neubewertung des Mammografie-Screenings notwendig?“, veröffentlicht im diesjährigen Jahrbuch des Tumorzentrums München. Eine Richtigstellung aus Sicht des qualitätsgesicherten Mammographie-Screenings und ein ganz aktueller, ausgewogene Überblick über den derzeitigen wissenschaftlichen Streitstand.

Den Beitrag finden Sie nachfolgend unter:

Heywang-Köbrunner in_2015_TZM_Jahrbuch_Mammographie

Mitgliederversammlung der IGPVA am 25.06.2015 in Leipzig

 

Die diesjährige, ordentliche Mitgliederversammlung der IGPVA findet während der 35. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Senologie in Leipzig
am 25.06.2015,
um 12.30 Uhr,
im Congress Center Leipzig,
im Raum M7
statt.

Kooperationsgemeinschaft Mammographie legt Evaluationsbericht für 2011 vor

04.02. 2015 / Berlin. Bei rund 17.000 Frauen wurde innerhalb eines Jahres im Mammographie-Screening-Programm Brustkrebs entdeckt. Rund 12.000 der aufgespürten Karzinome sind kleiner als 2 Zentimeter und haben die Lymphknoten noch nicht befallen. Damit bietet sich für viele Screening-Teilnehmerinnen die Chance auf eine weniger aggressive, erfolgreiche Behandlung.

„Der Anteil kleiner und lymphknotenfreier Karzinome ist hoch. Wir gehen davon aus, dass sich entsprechend die Anzahl der fortgeschrittenen Tumore reduzieren wird“, betont Dr. Vanessa Kääb-Sanyal, kommissarische Geschäftsstellenleiterin der Kooperationsgemeinschaft Mammographie. „Unsere Daten zeigen auch, wie effektiv das Mammographie-Screening-Programm in Deutschland arbeitet. Auf der einen Seite finden wir bei durchschnittlich 6 von 1.000 untersuchten Frauen Brustkrebs mehrheitlich in einem prognostisch günstigen Stadium, auf der anderen Seite können wir die Belastung für gesunde Frauen möglichst gering halten.“

Von den 130.000 zur Abklärung einer Auffälligkeit einbestellten Frauen im Jahr 2011 wird bei nur 34.000 Frauen eine Gewebeentnahme erforderlich. Die Hälfte dieser Frauen erhält die Diagnose Brustkrebs, das sind 13 Prozent aller Frauen, die zur Abklärung eingeladen wurden. „Im Gegensatz zu anderen Krebsfrüherkennungsuntersuchungen, die auch Fehlalarme, also falsch-positive Befunde produzieren, haben wir für das Mammographie-Screening verlässliche Zahlen, die regelmäßig in unseren Berichten veröffentlicht werden“, betont Kääb-Sanyal.

Für eine hohe Transparenz in der Darstellung der Ergebnisse sorgt der Evaluationsbericht 2011. Erstmals umfasst die Präsentation neben prozentualen Angaben für die Leistungsparameter wie Einladungs- und Teilnahmerate, Stadienverteilung der Karzinome und Wiedereinbestellungen auch die Angabe in so genannten absoluten Zahlen. Ein Beispiel: Die Teilnahmerate in 2011 betrug 56 %, das entspricht rund 2,7 Millionen untersuchten Frauen.

Kääb-Sanyal: „Frauen sollten informiert sein über die Vor- und Nachteile, die mit einer Teilnahme am Mammographie-Screening verbunden sein können. Ein früh erkannter Brustkrebs bietet für die Frau die Chance auf eine schonendere Therapie. Zudem kann sie ihr Risiko, an Brustkrebs zu sterben, durch die Früherkennung im Screening senken.“ Das zeigen aktuelle Auswertungen aus den schon länger laufenden Mammographie-Screening-Programmen wie den Niederlanden1 und Kanada2. Diese Auswertungen bestätigen die Ergebnisse aus großen Kontroll-Studien, die in mehreren Ländern bereits vor der Einführung der Screening-Programme durchgeführt wurden. Darauf stützte sich auch der einstimmige Bundestagsbeschluss 2002, das Mammographie-Screening in Deutschland umzusetzen.

„Das Mammographie-Screening in Deutschland arbeitet erfolgreich“, betont Kääb-Sanyal. Die Vorgaben der Europäischen Leitlinien zur Qualitätssicherung zur Brustkrebsfrüherkennung werden mit sehr guten Ergebnissen erfüllt. „Die konsequente Umsetzung der Qualitätssicherung unter anderem mit Doppelbefundung, Fortbildungen für ÄrztInnen und medizinisch-technische radiologische AssistentInnen, Überprüfungen der fachlichen Qualifikation, der Mammographiegeräte sowie der Abläufe in den Screening-Praxen zahlen sich aus für die Frauen, die sich für eine Mammographieuntersuchung zur Brustkrebsfrüherkennung im Rahmen dieses Programms entscheiden.“

Der Vergleich der Daten vor der Einführung des Screenings (2005) mit den aktuellen Ergebnissen aus dem Programm zeigt ein klares Bild. Bis 2005 sind jährlich mehr als 4 Millionen Mammographien durchgeführt worden. Zu dieser Zeit lag der Anteil der invasiven Karzinome (bösartige Gewebeänderungen, die in das umgebende Gewebe hineinwachsen) unter 2 Zentimeter nur bei knapp 50 Prozent. Im Screening hingegen beträgt der Anteil nun rund 81 Prozent. Ohne Lymphknotenbefall waren vor Einführung des Programms lediglich 57 Prozent der Karzinome, heute sind es rund 79 Prozent. Gleichzeitig ist der Anteil des Brustkrebses in einem „späten“, prognostisch ungünstigen Stadium im Screening deutlich niedriger als vor Screening-Beginn. Finden ÄrztInnen im Programm nur noch rund 23 Prozent der invasiven Karzinome größer als 2 Zentimeter oder mit Lymphknotenbefall vor, waren es 2005 noch rund 55 Prozent.

„Wir haben viel erreicht, einiges liegt noch vor uns“, sagt Kääb-Sanyal. Bundesweit lassen sich zurzeit noch keine Aussagen darüber treffen, wie hoch der Anteil der so genannten Intervallkarzinome ist, also derjenigen Brustkrebsfälle, die nach einer Screening-Untersuchung mit einem unauffälligem Ergebnis dann vor dem nächsten Screening-Termin festgestellt werden. Die in ersten Auswertungen für Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen ermittelten Intervallkarzinomraten, liegen im Referenzbereich der Europäischen Leitlinien und sind vergleichbar mit Ergebnissen anderer Screening-Nationen.

Aktuell viel diskutiert wird über „Überdiagnosen“ beziehungsweise „Übertherapien“. Dabei handelt es sich um Karzinome oder Brustkrebsvorstufen, die behandelt werden, aber bis zum Todeszeitpunkt der Frau mutmaßlich keine lebensbedrohliche Entwicklung genommen hätten. Doch kann für die einzelne Frau medizinisch nicht vorhergesagt werden, wie sich das Karzinom entwickeln wird. Die Schätzungen zur Häufigkeit von Überdiagnosen variieren in der Wissenschaft, je nachdem, auf welche Modellrechnungen sie beruhen. Für das deutsche Programm lassen die derzeit verfügbaren Daten der epidemiologischen Krebsregister vermuten, dass der Anteil der Überdiagnosen nicht im Bereich von 50 Prozent liegt, sondern deutlich niedriger ist. Denn: Mit der Einführung des Programms steigt die Anzahl registrierter Neuerkrankungen erheblich an: Durch das systematische Screening werden zunächst viele bestehende Karzinome gefunden, die ohne die Untersuchung im Programm zu diesem Zeitpunkt nicht entdeckt worden wären. Doch mit der flächendeckenden Umsetzung des Programms seit 2009 zeigt sich ein deutlicher Rückgang der Neuerkrankungsrate. Diejenigen Karzinome, die ohne die Screening-Untersuchung erst später entdeckt worden wären, treten nun nicht mehr auf. Für eine belastbare Schätzung von Überdiagnosen muss allerdings die Entwicklung der nächsten Jahre abgewartet werden.

Auch für die Aussage, in welchem Maß die Brustkrebssterblichkeit durch das Mammographie-Screening in Deutschland gesenkt werden kann, müssen die Ergebnisse abgewartet werden. Erst nach 10 bis 15 Jahren Laufzeit zeigen sich solche Effekte eines Krebsfrüherkennungsprogramms. 2012 hat das Bundesamt für Strahlenschutz ein entsprechendes Forschungsvorhaben in Auftrag gegeben.

Quellen:

1 Health Council of the Netherlands. Population screening for breast cancer: expectations and developments. The Hague: Health Council of the Netherlands, 2014; publication no. 2014/01E.
2 Coldman A., Pan-Canadian Study of Mammography Screening and Mortality from Breast Cancer. JNCI J Natl Cancer Inst (2014) 106 (11): dju261

Die Evaluations- und Qualitätsberichte der Kooperationsgemeinschaft sind veröffentlicht im Online-Fachservice unter

http://fachservice.mammo-programm.de/

Fachgesellschaften empfehlen das Mammographie-Screening-Programm

Nach wie vor kann allen Frauen zwischen 50 und 69 Jahren die Teilnahme am qualitätsgesicherten Mammographie-Screening-Programm in Deutschland empfohlen werden.

Die Kritik am Mammographie-Screening habe in den vergangenen Monaten potenzielle Teilnehmerinnen erheblich verunsichert. Die wissenschaftliche Bewertung neuer Ergebnisse aus anderen Ländern bestätige jedoch, dass durch dieses Programm zur Brustkrebsfrüherkennung eine deutliche Senkung der Brustkrebssterblichkeit erreicht werde – auch bei Anwendung der heute üblichen medikamentösen Behandlung mit Hormon- und Chemotherapie.

Zu diesem Fazit gelangen die Arbeitsgemeinschaft gynäkologische Radiologie, die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, die Deutsche Gesellschaft für Senologie sowie der Berufsverband der Frauenärzte in einer aktuellen gemeinsamen Stellungnahme.

Quellen: „Frauenarzt“, Ausgabe 55 (2014), Nr. 12

http://www.senologie.org/presse/stellungnahmen/

Jürgen Windeler, Leiter des IQWiG, äußert sich positiv zum Screening im Interview mit „MDK forum“

Herr Prof. Jürgen Windeler, Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) in Köln, hat sich in einem Interview im  Heft 3-4/2014 von „MDK forum“ zum Thema „Ist das Mammographie-Screening (noch) sinnvoll?“ positiv zu dem Programm geäußert.

Der Gemeinsame Bundesausschusses (G-BA) hatte nach einer entsprechenden Stellungnahme der Bundesregierung vom 07.08.2014 das IQWiG mit der Erstellung eines Gutachtens zu Risiken und Nutzen des Mammographie-Screening-Programms beauftragt.

Nachfolgend der Wortlaut des Interviews :

Prof. Windeler: Ist das Mammographie-Screening (noch) sinnvoll?

Jede Frau zwischen 50 und 69 in Deutschland erhält alle zwei Jahre eine Einladung zur Mammographie. Etwa jede zweite geht hin, das sind pro Jahr rund 2,7 Millionen Frauen. Damit ist die Mammographie eines der aufwendigsten Screening-Programme. Doch es mehren sich die Zweifel, ob sich dieser Aufwand lohnt. Wir sprachen mit Prof. Dr. Jürgen Windeler, Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (iqwig)

Was macht das Mammographie-Screening in Deutschland aus?

Das Mammographie-Screening ist das einzige Erwachsenenscreening, das in einem Einladungsmodell organisiert ist. So etwas gibt es für keine andere Früherkennung im Erwachsenenalter. Ansonsten aber befasst sich die Diskussion, die wir derzeit über die Mammographie führen, mit den gleichen Themen und Problemen wie die Diskussionen, die man bei anderen Früherkennungsprogrammen geführt hat – oder führen müsste – und auch künftig führen wird.

In dieser Diskussion wird immer wieder darauf hingewiesen, dass die Wirkung von Screening-Programmen erst nach frühestens zehn Jahren sichtbar wird. Das Mammographie-Screening wurde im Jahr 2009 flächendeckend in Deutschland eingeführt – lassen sich heute überhaupt schon Aussagen zum Erfolg machen?

Wenn man 2009 nicht bereits aussagefähige Daten gehabt hätte, hätte man das Screening gar nicht einführen dürfen – und ich glaube auch nicht, dass wir in zehn Jahren entscheidend mehr wissen werden. Für das Mammographie-Screening liegen uns mehr und qualitativ bessere Daten vor als für jede andere Krebsfrüherkennungsuntersuchung. Sie stammen aus aussagefähigen vergleichenden Studien, die Mitte der 1980er-, spätestens Beginn der 1990er-Jahre abgeschlossen wurden. Auf dieser Grundlage ist das Mammographie-Screening eingeführt worden und darauf basiert heute auch die gesamte Diskussion. Wesentliche neuere Daten gibt es nicht. Die Anfang dieses Jahres publizierten 20-Jahres-Daten aus einer kanadischen Studie haben die bisher bekannten Ergebnisse bestätigt. Was es nicht gibt, sind Mortalitätsdaten aus dem deutschen Mammographie-Screening-Programm. Hier muss man allerdings ehrlich sagen: Die wird es in aussagekräftiger Form auch nicht geben. Darauf sollten wir also mit Entscheidungen über eine Verbesserung des Programms nicht warten.

Wenn diese Daten nun schon vorliegen, wo liegt dann Ihrer Meinung nach das Problem?

Das Problem – und das gilt übrigens für alle Früherkennungsuntersuchungen – liegt darin, dass die Krankheit, nach der man sucht, verhältnismäßig selten ist. Die Ereignisse, die man gerne vermeiden möchte, nämlich den Tod durch diese Krankheit, sind noch seltener. Wer also einen positiven Effekt einer Maßnahme auf diese seltenen Ereignisse untersuchen möchte, braucht erstens sehr große Populationen. Und zweitens ist die Unsicherheit in den Ergebnissen dann immer noch so groß, dass man selbst mit guten Daten argumentieren kann »Da tut sich ja so gut wie gar nichts« und mit fast den gleichen Daten aber auch sagen kann »Na ja, es tut sich ja ein bisschen etwas, was ein solches Screening rechtfertigt«. Das ist momentan das zentrale Problem.

Bedeutet das, die Schlussfolgerungen aus den vorliegenden Studien sind reine Auslegungssache?

Die Kritiker der Mammographie-Untersuchung, z. B. die Cochrane-Forscher um Peter Goetzsche aus Dänemark, stellen sehr hohe Anforderungen an die Studien und lassen nur sehr wenige gelten. Daraus leiten die Autoren dann ab: Das Mammographie-Screening lohnt sich nicht. Andere Autoren kommen unter Einschluss der übrigen Studien zu dem Ergebnis, dass es vielleicht doch ein bisschen etwas bringt. Noch andere Autoren nehmen nicht nur vergleichende Studien, sondern auch ganz andere Daten hinzu, die qualitativ möglicherweise schlechter sind, und kommen zu dem Ergebnis, dass das Screening sehr wohl etwas bringt. Quantitativ liegen aber alle diese Ergebnisse dicht beieinander.

Nun sagen die Kritiker, dass Frauen, die am Mammographie-Screening teilnehmen, zwar seltener an Brustkrebs sterben, aber im Schnitt auch nicht länger leben als Frauen, die nicht teilnehmen. Einige von ihnen würden völlig unnötigerweise eine Brustkrebs-Diagnose erhalten, operiert oder bestrahlt werden bzw. eine Chemotherapie bekommen. Diese Strahlenbelastung könne sogar das Herzinfarktund Lungenkrebsrisiko erhöhen. Schadet das Mammographie-Screening demzufolge mehr, als es nutzt?

An dieser Darstellung sind zwei Dinge zunächst richtig: Wenn man auf die Brustkrebs-Mortalität schaut, die Sterblichkeit am Brustkrebs, dann gibt es dort vermutlich einen kleinen Effekt. Richtig ist außerdem, dass es keinen auffälligen Effekt auf die Gesamtsterblichkeit gibt: Frauen leben dank der Mammographie nicht länger – im Mittel wohlgemerkt. Aber es ist unklar, ob sich der Effekt in der Brustkrebs-Mortalität deshalb nicht in der Gesamtsterblichkeit zeigt, weil es die beschriebenen Nebenwirkungen gibt, die sozusagen gegenläufig sind. Oder aber, und das ist eine genauso plausible Hypothese, weil der Effekt auf die Gesamtmortalität viel zu klein ist, als dass ihn sorgfältige Studien überhaupt zeigen könnten. Man weiß es einfach nicht. Um solche Aussagen belegen zu können, brauchen Sie riesige und in dieser Größe auch noch sehr aussagekräftige Studien. Die gibt es einfach nicht. Das gilt übrigens für andere Screening-Formen auch.

Also nutzt das Mammographie-Screening doch etwas?

Die Frage ist, was man als Nutzen akzeptiert. Derzeit gehen wir davon aus, dass es eine gewisse Senkung der Brustkrebs-Sterblichkeit gibt. Zweitens können wir davon ausgehen, dass es keine Änderung in der Gesamtsterblichkeit gibt. Drittens gibt es Nebenwirkungen im Sinne von Überdiagnosen, das ist bekannt. Ein Teil der im Mammographie-Screening entdeckten Brustkrebsfälle wären also besser unentdeckt geblieben: Sie müssen therapiert werden, wären aber der Frau sonst nie aufgefallen. Das sind die Nachteile, und sie sind gravierend und auch quantitativ nicht zu vernachlässigen. Und jetzt ist es eine Frage der Bewertung, ob man aus all diesen Punkten insgesamt einen Nutzen ableitet oder nicht. Jemand, der sagt: »Screening bringt nur dann etwas, wenn die Frauen länger leben«, der muss sagen: »Das passiert hier nicht«. Eine Frau, die sagt, es reicht mir schon, wenn ich meine Sterblichkeit an Brustkrebs reduzieren kann, würde dem Screening einen Nutzen zuerkennen. Bei aller Skepsis: Derzeit bin ich nicht dafür, die Mammographie als Einladungsmodell abzuschaffen, wie es einige fordern. Und zwar nicht, weil der Effekt der Mammographie so überzeugend ist. Doch würde man das Mammographie-Screening in der organisierten Form abschaffen, dann würde es wie früher ohne eine adäquate Qualitätssicherung weiterlaufen. Schließlich kann niemand die Mammographie an sich verbieten. Insofern würde eine Abschaffung des Programms die Situation für die Frauen eher schlechter machen als besser. Außerdem haben wir durch das Programm die Möglichkeit, alle Frauen zu erreichen und mit vernünftigen Informationen zu versorgen. Der zweite Punkt ist: So ein etabliertes Früherkennungsprogramm ist ein extrem träger Tanker. Dort auf die Bremse zu treten oder die Richtung zu ändern, braucht eine Vorlaufzeit von einigen Jahren. Und wir müssen auch aufpassen, dass die Kritik am Mammographie-Programm nicht dazu missbraucht wird, den Frauen eine graue Mammographie oder eine andere Methode wie zum Beispiel Ultraschall oder MRT als angeblich bessere Alternative anzubieten. Hier sieht die Bilanz noch schlechter aus.

Wäre denn eine solche Richtungsänderung angesichts der neuen Therapiemöglichkeiten angezeigt?

Wer heute an Brustkrebs erkrankt, hat eine viel bessere Perspektive als vor zwanzig Jahren. Wir wissen mehr über den Krebs und haben neue Medikamente gegen Brustkrebs, die die Therapie verbessern. Von daher kann es sein, dass die positiven Effekte des Mammographie-Screenings auf die Brustkrebs-Sterblichkeit heute noch kleiner sind, als sie es vor zehn oder fünfzehn Jahren waren. Eine Risikoadaptation wäre sicherlich eine mögliche Perspektive – das gilt für jedes Screening. Statt nach dem »Gießkannenprinzip« könnte man die Untersuchung ausschließlich denjenigen zukommen lassen, die davon am meisten profitieren, und den anderen, die nur ein sehr kleines Risiko einer Erkrankung haben, die Nachteile des Screenings ersparen. Darin wird sicherlich die Zukunft liegen. Aber wir haben im Moment noch keine aussagekräftigen Marker für diese Risikoadaptierung. Beim Gebärmutterhalskrebs und Prostatakrebs fängt man jetzt an, über ein ergebnisabhängiges Screeningprogramm zu sprechen, also Teilnehmer, die nach einem ersten Test positiv sind, in engeren Abständen wieder einzuladen als diejenigen, die im ersten Test negativ sind. Aber auch ein solches Vorgehen steckt derzeit noch in den Kinderschuhen.

Die Fragen stellte

Dr. Martina Koesterke